Humor

Humor von Dana Berg


Warum sollte ich über die Katastrophe lachen? Ich lache nicht über hungernde Kinder, nicht über Malaria, habe nie über Fukushima gelacht. Warum sollte ich über die Pandemie lachen?


Ich habe in der Pandemie über die Pandemie gelacht. Worüber ich nicht gelacht habe: die vollen Intensivstationen. Die Todesanzeigen in einer Tageszeitung von Bergamo. Die Massengräber in Brasilien. Mein erstes Lachen über die Pandemie fand Anfang März statt. Ich sah ein Video vom Wuhan Shake, Männer schlugen zur Begrüßung ihre Schuhe gegeneinander, weil sie einander die Hand nicht geben durften. Ich war überrascht, ich lachte. Wenige Tage später verwendete ich diesen Wuhan Shake mit anderen auf einer Ausstellungseröffnung. Das gemeinsame Lachen einte die Gruppe. Wir trotzen den Umständen, nahmen sie ernst und zugleich nicht.


Worüber ich in der Pandemie gelacht habe: Weil das Bild eine Diskrepanz offenbart zwischen notwendiger Kompetenz und gezeigter Kompetenz, lache ich über das Foto, auf dem Armin Laschet den Mund-Nasen-Schutz unterhalb der Nase trägt. Ich lache, wenn Reiner Haseloff vor der Ministerpräsidentenkonferenz unbeabsichtigt »Ä« twittert, lache nicht, wenn Bodo Ramelow während der Ministerpräsidentenkonferenz beabsichtigt »ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ« twittert.


Lache ich, wenn Lachen meine Überzeugung bestätigt? Ich lache über eine Karikatur, auf der ein Mann am Computer sitzt und zu seiner Frau sagt: »Honey, come look! I`ve found some information all the world`s top scientists and doctors missed.« Ich lache, wenn Jan Böhmermann als Tommy Tellerlift in der Après-Ski-Persiflage Ischgl Fieber singt: »Husti Heh in der Seilbahn, Husti Heh drunt im Tal, Husti i, Husti Du, Husti olle noch amoi!« Ich lache über die Coronazeichnungen von Stefanie Sargnagel.


Ich lache nicht, wenn Dieter Nuhr in einer Kabarettsendung sagt, dass »Frau Merkel ja offenbar diesem Herrn Drosten verfallen« sei. Und das, obwohl es heißt, dass guter Humor nicht nach unten, sondern nach oben tritt. Nuhr tritt, so hoch er kann und dennoch lache ich nicht. Jetzt, da ich diesen Kabarettsatz aufschreibe, frage ich mich, warum das so ist. Vielleicht kann ich darin keinen Witz entdecken, weil ich es notwendig finde, dass Politikerinnen während einer Pandemie auf Wissenschaftler hören. Nuhrs Pointe, dass die Politik zu sehr auf die Wissenschaft hört, erschließt sich mir nicht, weil sich die Pointe nicht mit der Realität, wie ich auf sie blicke, deckt.


Ich lache über Memes. Bei Memes muss ich um die Ecke denken, verstehen, wie ich ein Bild zu lesen habe, muss Bedeutungen kennen, aufspüren und in Beziehung zueinander setzen. Bei einem guten Meme werde ich für die Anstrengung mit einer Erkenntnis belohnt. Über den im Suezkanal auf Grund gelaufenen Frachter Ever Given steht B117 geschrieben, über den daneben winzig erscheinenden Bagger, der das Schiff freischaufeln soll, steht deutsche Coronapolitik. Ich lache über die Coronavariationen des Distracted-Boyfriend-Meme, die how it started how it’s going-Memes, das Bernie-Sanders-Mitten-Meme, Memes, die sich ständig fortschreiben, manche tragen die Zeit vor Corona in sich und machen dadurch die eingetretene Veränderung umso deutlicher.


Ist fehlendes Leid ein Kriterium für Lachen? Und wenn es Leid gab, warum lache ich dennoch? Ich lache immer noch über Donald Trump, der empfiehlt, sich Desinfektionsmittel zu spritzen, obwohl ich mittlerweile erfahren habe, dass einige seiner Aufforderung nachkamen, dass es deshalb Tote gab. Überhaupt lache ich viel, zu viel, über die Coronapolitik des 45. amerikanischen Präsidenten. Eine Zeit lang lasse ich mir diese ausschließlich von amerikanischen Komikern erklären, weil es anders nicht zu ertragen war. Wann lache ich Tyrannen und Despoten aus? Ich lache nicht, wenn Jair Bolsonaro sagt, dass Corona wie Regen sei, »irgendwann erwischt er dich«. Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Herrschern? Sie haben die höchsten Zahlen von Coronatoten mitzuverantworten. Dennoch ist Trump eine Witzfigur, Bolsonaro ist es nicht.


Lache ich über den offensichtlichen Widerspruch? Lache ich über Jana aus Kassel, die sich mit Sophie Scholl vergleicht? Ich lache, wenn eine Querdenkerin darauf besteht, im Zug keine Maske zu tragen und kurz darauf ein Fahrverbot von einem halben Jahr erhält und deshalb von »Merkeldiktatur« spricht. Ich lache nicht, wenn ich lese, wie ein Amerikaner zu einer Coronaparty geht, um sich vorsätzlich anzustecken und einige Wochen später an Covid 19 stirbt. Ich lache nicht, wenn ich lese, dass eine Amerikanerin ihre Tochter zu einer Coronaparty nimmt, um sie dort vorsätzlich anzustecken und das Mädchen einige Wochen später an Covid 19 stirbt. Ich lache, wenn ich lese, dass jemand im März 2020 für das erfolgreiche Bestehen einer Instagram-Coronachallenge über den Toilettensitz eines öffentlichen WCs leckt und kurz darauf erkrankt, ich lache, obwohl ich erst später überprüfe, ob er die Krankheit gut überstanden hat.


Ich lache über das Absurde. Ich lache über die dänischen Zombienerze, die wegen des Virus getöteten Tiere, die aufgrund von Verwesungsgasen aus den Massengräbern treten. Lache ich wirklich darüber? Ist es ein schallendes Lachen, ein befreiendes Lachen, ein Glucksen? Wenn ich mich erinnere, merke ich, dass ich niemals darüber gelacht habe. Aber ich habe diesen Vorgang, der furchtbar, grausam und makaber ist, in meinem Kopf abgespeichert unter absurd, also irgendwie auch amüsant, auf jeden Fall nichts, was mich emotional belastet, als etwas, das zeigt, welche unerwarteten Folgen die Pandemie hat und dass diese Folge zudem auf unerwartete Weise an ein Endzeitbild anknüpft, die aus ihren Gräbern tretenden Wesen, keine Menschen, sondern unerwartet: Nerze.


Gänzlich befreit von moralisch komplexen Überlegungen lache ich über ein Video, in dem eine Frau aus der Zukunft mit ihrem Vorcorona-Ich spricht. Was die Zukunftsfrau sagt, klingt nach einem Jahr Pandemie vertraut. Zugleich ermöglicht mir das Video einen scharfen Blick auf die eingetretenen Veränderungen und Verschiebungen. Ich weiß nicht, ob ich über ein anderes Video lachen soll. Ein Bauchredner spielt mit einer Echse die Pandemie nach. Die Echse holt Badeenten auf den Tisch. Jede Ente steht für einen Aspekt der Pandemie: Ausbruch, Tod, Ischgl, Robert-Koch-Institut, Christian Drosten, die Bilder aus Bergamo, die zweite Welle etc. In sieben Minuten wird so das erste halbe Jahr der Pandemie aufbereitet.


Ein Beispiel: Die Bilder-aus-Bergamo-Badeente. Um sie zu verstehen, muss ich die Bilder aus Bergamo kennen; die Aufnahmen von den Armeefahrzeugen, die Särge wegfahren. Ich muss wissen, wofür diese Bilder stehen; für Übersterblichkeit, eine horrende Situation. Die Echse präsentiert die Bilder von Bergamo in Form einer Gespensterente. Die Bilder von Bergamo, sagt die Echse, sollen erschrecken, sie jagen Angst ein. Die Echse lässt die anderen Enten vor der Bergamoente zurückweichen und panisch kreischen: »Huah, die Bilder aus Bergamo, alle weg, Wah, wir brauchen einen Lockdown, wir brauchen einen Podcast.«


Um auch das decodieren zu können, muss ich wissen, welche Reaktionen die Bilder aus Bergamo hervorriefen. Ich muss den zeitlichen Ablauf parat haben, den Lockdown einordnen und – als nächsten Schwierigkeitsgrad – die Bedeutung des Update-Podcasts bei der Meinungsbildung in Deutschland kennen. Als nächstes wirft die Echse eine Polizeiente auf den Tisch und lässt diese rufen: »Ich bin die Polizei. Ich setze den Lockdown durch.«


Das alles geschieht in zehn Sekunden. Zehn Sekunden Übersterblichkeit, Medienkritik, Virologenpodcast, Staatsgewalt. Lauter Zusammenhänge, irgendwie kritisch, irgendwie polemisch, auf jeden Fall komplex und dennoch muss noch gelacht werden, was in diesen zehn Sekunden nicht geschieht. Kein Publikumsgelächter. Erst als die Coronavirusbadeente fragt, ob sie zum Baumarkt gehen darf, wird wieder gelacht. Ich merke, dass ich nicht lache.


Ein weiteres Video, bei dem ich nicht lache, der Grund ist ein anderer. Der österreichische Kabarettist Thomas Maurer beginnt in einer Fernsehsendung seinen Auftritt mit dem bekannten Satz, dass Komik Tragik plus Zeit ist. Er plaudert über das österreichische Coronamanagement, das aussehe wie ein Teenagerzimmer, wenn die Eltern 14 Tage im Urlaub waren, spricht über die Coronapolitik von Tansania und Großbritannien, kommt zur Impfreihenfolge in Österreich, flechtet dabei die Situation seines Vaters ein, 79 Jahre, Risikopatient. Sieben Minuten erzählt Maurer von politischen Verwicklungen, bis er berichtet, wie er eines Abends einen Anruf aus dem Krankenhaus bekam und ihm mitgeteilt wurde, dass er seinen Vater auf der Intensivstation besuchen dürfte. Maurer sagt, dass es nie ein gutes Zeichen ist, wenn man nachts auf die Intensivstation gerufen wird. Er geht, besucht. Wenige Stunden später ist sein Vater an einer Covid-19-Erkrankung gestorben. Zwei Tage danach liegt in der Post der Impfbescheid für den Vater. Komik ist Tragik plus Zeit, sagt Maurer, vielleicht werde ich eines Tages darüber lachen können.


Ich weiß nicht, ob Humor so funktioniert. Ob die Zeit das Lachen lehrt. Auch zwanzig Jahre später kann ich nicht darüber lachen, dass jemand aus dem 106. Stockwerk eines brennenden Hochhauses springt, weil er im Springen die größere Wahrscheinlichkeit zum Überleben sieht. Ich weiß nicht, wie das mit dem Lachen und der Pandemie in zwanzig Jahren sein wird. Ob es Lachen gibt, dass ich jetzt brauche und dessen Pointen ich in zwanzig Jahren nicht mehr verstehen werde. Ob es Pointen gibt, die ich erst in zwanzig Jahren begreifen werde, welche das sind und warum sie das sind, warum ich lachte, lache, lachen werde.


(sp)